Oktober
2008, Zurück
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Ein paar
Anmerkungen zur Ost-West-Debatte
Dies ist ein ziemlich heikles
Thema und spaltet das gesamte Land, nicht nur Ost und West,
sondern auch innerhalb der jeweiligen Lager. Immer häufiger
laufen Beiträge über die DDR (wie die Filme "Das Leben der
anderen" und der ARD-Zweiteiler "Die Frau vom Checkpoint
Charlie"). Anlass für diesen Beitrag sind stressige
Diskussionen über dieses Thema und der Beitrag von Friedrich
Schorlemmer im FREITAG
41/2007
S.7.
Was will man
eigentlich mit solchen Filmen erreichen?
Was will man damit erreichen? Aufklärung der Menschen? Höhere
Einschaltquoten? Soll dies der Manipulation dienen und die
Gräben noch mehr vertiefen? Nach dem Motto: Divide et impera?
Oder hängt dies mit dem gegenwärtigen Kulturstaatsminister
Bernd Neumann und hinter ihm stehenden "konservativen"
Historikern zusammen, die die Aufarbeitung der DDR-Geschichte
nur auf Repression, Anpassung und Widerstand begrenzen wollen
(siehe Sabrow-Kommission).
Warum ärgere ich mich eigentlich, wenn die DDR schlecht
gemacht wird, obwohl ich selbst nicht gerade die besten
Erfahrungen mit der Staatsmacht hatte?
Presse- und Medienfreiheit:
Wie ist es eigentlich heute mit der Presse- und
Medienfreiheit?
Um einmal auf den ARD-Zweiteiler "Die Frau vom Checkpoint
Charlie" zu kommen: Eine rührende Geschichte, die so mancher
deutschen Mutter die Tränen in die Augen trieb. Aber wenn man
eine Seifenoper als Werk der deutschen Geschichte verkauft,
dann bleibt es trotzdem eine Seifenoper.
Auch in der Bundesrepublik gab es jede Menge Skandale, die bis
heute nicht aufgearbeitet oder korrigiert wurden, so auch, wie
in diesem Film, ungerechtfertigte Zwangsadoptionen, z.B. in
den 60er Jahren betrieben von der katholischen Kirche wegen
vermeintlichen sexuellen Missbrauchs von Kindern, die sich
später als unhaltbar erwiesen haben. Einige Kinder wurden
direkt vom Kindergarten wegadoptiert. Warum interessieren sich
die selbsterklärten Geschichtsaufarbeiter nicht dafür.
Warum wird immer wieder die tote DDR rituell geschlachtet?
Warum macht es vielen Leuten so viel Spaß, die tote DDR immer
wieder rituell zu töten, zu schlachten, zu delegitimieren? Am
meisten Genugtuung und Befriedigung verschafft es den
selbsternannten DDR-Experten. Das sind oft Leute, die selbst
oder deren Eltern in den Fünfzigern oder Sechzigern aus der
DDR geflohen waren und jahrzehntelang ihre Phrasen wiederholt
haben. Nicht selten flohen sie, weil sie Dreck am Stecken
hatten und waren auch bei der Darstellung der Umstände oft
erfinderisch. Dafür trugen sie ihr schweres Schicksal
jahrzehntelang zur Schau. Dass die DDR der siebziger und
achtziger Jahre eine ganz andere DDR war als in den
Fünfzigern, haben sie nicht mitbekommen. Nun haben sie einen
Ruf zu verlieren und wiederholen ihre Phrasen deshalb noch
häufiger. Aber auch Leute, die weder Verwandte noch irgendeine
andere Beziehung zur DDR hatten, erklären die "Aufarbeitung
der zweiten deutschen Diktatur" zu ihrem Hobby. Sie sagen,
dass bei der Aufarbeitung der zweiten Diktatur nicht die
Fehler der Aufarbeitung der ersten Diktatur gemacht werden
dürfen. Wenn man dann aber von Skandalen bei der
Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus noch aus den 90er
Jahren erzählt, wie z.B. von den noch am 20. April 1945
ermordeten zwanzig "Kindern vom Bullenhuser Damm" (http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nie-vergessen)
und von der Einstellung des Verfahrens gegen den
verantwortlichen Befehlsgeber, dann sind sie von solchen
Bagatellen nur gelangweilt. Ja ja, es wurden Fehler gemacht,
aber nun soll alles anders werden.
Phrasen der selbsternannten DDR-Experten:
Die selbsternannten DDR-Experten wiederholen vor allem Phrasen
aus den fünfziger Jahren. Sie sagen z.B., dass man in der DDR
nicht studieren konnte, wenn die Eltern nicht auf Parteilinie
waren, z.B. kirchlich. Das wird ganz pauschal gesagt, als wenn
sie damit die DDR bis zum Ende und absolut alle meinen. Dabei
wird auch einfach übersehen, dass die deutsche Bundeskanzlerin
Angela Merkel als Tochter eines Pfarrers studieren konnte. Ich
bin derselbe Jahrgang und kenne niemandem, den es getroffen
hat. Ich würde aber auch nicht bestreiten, dass es solche
Fälle gegeben hat. Es geht ja gerade um die
Verhältnismäßigkeit. Schon alleine die Tatsache, dass man sich
wundert und ich mich rechtfertigen muss, dass ich studieren
konnte, ist so daneben, dass man bei solchen Diskussionen gute
Nerven haben muss, um nicht aus der Haut zu fahren, denn was
man auch sagt, es wird immer als Ausrede und Rechtfertigung
aufgefasst.
Was sind das eigentlich für Menschen, diese Aufarbeiter der
"zweiten deutschen Diktatur"?
Diese selbsterklärten DDR-Experten treten ziemlich sicher auf,
weil sie wissen, dass sie bei ihren Zuhörern, die sie sich in
der Regel selbst aussuchen, gut ankommen. Für Argumente sind
sie völlig unzugänglich. Sie reden darüber auch nicht gerne im
Beisein von ehemaligen DDR-Bürgern, sondern nur mit
ihresgleichen oder wenn sie sicher sind, dass man das gerne
hört. Anwesende ehemalige DDR-Bürger werden nur akzeptiert,
wenn sie ihnen recht geben und sich anbiedern. Diese werden
dann auch entsprechend vorgeführt. Vor allem zeichnet sie aus,
dass sie sich weder für vergangene Skandale aus der
Bundesrepublik noch für aktuelle Missstände interessieren.
Selbstredend haben sie natürlich kein Hintergrundwissen zur
deutschen Vorgeschichte und den politischen Verhältnissen, die
zur Teilung Deutschlands führten.
Warum betrifft mich das?
Ich werde häufig mit solchen Phrasen aus den fünfziger Jahren
konfrontiert, und das von Leuten, die nur wenig über deutsche
Geschichte wissen und anscheinend nur vier Wörter kennen:
Diktatur böse, Demokratie gut. Das hindert sie aber nicht
daran, sich praktisch jedem Osteuropäer haushoch überlegen zu
fühlen. Ich habe in 20 Jahren Hamburg noch nie erlebt, dass
sich irgendjemand für das Leben in der DDR wirklich
interessiert hätte. Im Gegenteil, man hat mir immer erzählt,
wie die DDR war. Ich musste nur manchmal überlegen, von
welchem Land sie sprachen. Und ich muss sagen, dass ich davon
voll genervt bin. Deshalb betrifft mich das.
Meine Konsequenzen:
Da man mit Argumenten praktisch nichts erreicht, sehen meine
Konsequenzen so aus, dass ich z.B. bei Gruppenurlaubsreisen
meine Herkunft verberge. So kann ich mich wenigstens eine
Weile normal unterhalten und werde respektiert. Dann kann man
sich sogar über politische Themen unterhalten wie Demokratie,
Kriege, Globalisierung, Neoliberalismus usw., sogar über Tabus
und heilige Kühe diskutieren wie z.B. die Grenzen der
Pressefreiheit in Deutschland. Ist aber meine Herkunft
bekannt, dann bin ich jemand, der eine Gehirnwäsche hatte und
als Diskussionspartner inakzeptabel. Ab und zu muss ich es
aber wieder wissen und oute mich als Ex-Ossi. Dann läuft immer
dasselbe ab: Man nimmt mich nicht mehr ernst und selbst der
letzte Plebs fängt an, mir Ratschläge zu geben.
Fazit:
Es soll hier nicht so aussehen, als wenn ich die Verhältnisse
in der ehemaligen DDR beschönigen will. Ich weiß, dass es
viele Repressionen gab, auch ungerechtfertigte Internierungen.
Das betrifft aber vor allem die vierziger und fünfziger Jahre,
als noch mit dem Nationalsozialismus abgerechnet wurde sowie
die Zeit des Kampfes um Machterhalt und Richtungskämpfe.
Nebenbei gesagt, in der Bundesrepublik der vierziger Jahre
waren die Amerikaner auch nicht gerade zimperlich, und auch
dort gab es Lager und Erschießungen.
Bis 1949 war die DDR noch die sowjetische Besatzungszone, aber
auch danach in den fünfziger und sechziger Jahren hatte die
sowjetische Besatzungsmacht das Sagen. Dabei muss man auch
berücksichtigen, welche unglaublichen Verbrechen während des
zweiten Weltkrieges in der Sowjetunion begangen wurden. Die in
der DDR geborenen Menschen haben diese Abrechnungen nicht mehr
kennengelernt und verstehen auch die heutige Darstellung der
DDR nicht, die sich nur auf Repression und Widerstand bezieht.
Das deckt sich nicht mit ihren Erfahrungen. Die Repressionen
in den 80er Jahren gegen Oppositionelle in der DDR hatten
einen ganz anderen Charakter. Das hat Friedrich Schorlemmer
gut ausgedrückt: Was ist ein Publikationsverbot für einen
Journalisten in der DDR gegen die Folterung und Ermordung
eines Journalisten in einer echten Diktatur wie in Kolumbien.
Außerdem (von mir): Was ist ein Publikationsverbot für einen
oppositionellen Journalisten in der DDR gegen die
Unmöglichkeit, heute in der Bundesrepublik oppositionell
publizieren zu können, weil 95% der Medien regierungstreu oder
von Lobbies korrumpiert sind und keine echten oppositionellen
Beiträge veröffentlichen?
Noch einmal: Was will man mit solchen Filmen erreichen?
Vielleicht ist es ja auch ganz anders und die Bundesregierung
will erreichen, dass die deutsche Bevölkerung dieses Themas
überdrüssig wird. Ich zitiere /1/: "Wer heute noch mehr
Würdigung der Opfer der SED-Diktatur wünscht, scheint sich der
Tatsache nicht bewusst zu sein, dass eine ununterbrochen auf
Schrecken und Betroffenheit setzende Gedenkstättenpädagogik
letzten Endes viel Überdruss erzeugt", und "Unter Schülern und
Studenten der Bundesrepublik deutet er sich heute bereits an.
Die Erziehungs- und Konfliktforschung hat das erkannt, und in
einigen Gedenkstätten beginnt man, dies konzeptionell
umzusetzen".
Aussicht, Das GMF-Syndrom (GMF Survey):
Inzwischen bin ich souverän genug, um mich nicht mehr darüber
zu ärgern.
Mein Fazit nach über 20 Jahren Auseinandersetzung ist: Beide
Seiten missverstehen und verachten sich gründlich. Falls es
überhaupt zu Gesprächen kommt, weiß man eigentlich nicht,
wovon der anderer überhaupt redet, so verschieden sind die
Lebenserfahrungen. Als Ossi ist man natürlich immer in der
Defensive. Bei den Jüngeren sieht es natürlich schon anders
aus.
Und für das Verhalten gegenüber den Ostdeutschen habe ich eine
Erklärung gefunden: das GMF-Syndrom, wenn man mal von
politischen Interessen absieht. Das GMF-Syndrom
(Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit), ist keine Krankheit,
wie das Wort Syndrom assoziieren könnte, sondern eine Art
soziales Fehlverhalten. Beim GMF-Syndrom wird Ungleichheit in
Ungleichwertigkeit (meist natürlich Minderwertigkeit)
transformiert, mit dem Ziel, seine eigene Gruppe oder sich
selbst zu erhöhen, wobei dieses Syndrom manchmal auf beiden
Seiten auftritt.
Forschung zum GMF-Syndrom an den Universitäten Bielefeld und
Marburg,
http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF_Survey.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit
Die zehn Elemente des GMF-Syndroms sind:
1. Fremdenfeindlichkeit
2. Rassismus
3. Antisemitismus
4. Islamfeindlichkeit
5. Etabliertenvorrechte
6. Sexismus
7. Homophobie
8. Abwertung von Menschen mit Behinderung
9. Abwertung von Obdachlosen
10. Abwertung von Langzeitarbeitslosen
11. Antiziganismus
Die Ostfeindlichkeit ist zwar nicht direkt aufgeführt, aber
man könnte sie 1. und 5. zuordnen.
Kommentare
oder Gegendarstellungen sind jederzeit willkommen.
Meine e-Mail
Referenzen:
Thomas Hoffmann: Bloß kein Erinnerungskombinat, FREITAG
12/2007
(http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/bloss-kein-erinnerungskombinat)
Friedrich Schorlemmer: Erinnern und Vergessen, FREITAG
41/2007
(http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/erinnern-und-vergessen)
/1/ UTOPIE kreativ, Heft 204 (Oktober 2007, Seite 932)
oder auch: Das Blättchen, Nr.22
(Oktober 2007, Seite 28)
Das GMF-Sysdrom (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
(in http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/index.htm)