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Ein paar Anmerkungen zur Ost-West-Debatte

Dies ist ein ziemlich heikles Thema und spaltet das gesamte Land, nicht nur Ost und West, sondern auch innerhalb der jeweiligen Lager. Immer häufiger laufen Beiträge über die DDR (wie die Filme "Das Leben der anderen" und der ARD-Zweiteiler "Die Frau vom Checkpoint Charlie"). Anlass für diesen Beitrag sind stressige Diskussionen über dieses Thema und der Beitrag von Friedrich Schorlemmer im FREITAG 41/2007 S.7.

Was will man eigentlich mit solchen Filmen erreichen?
Was will man damit erreichen? Aufklärung der Menschen? Höhere Einschaltquoten? Soll dies der Manipulation dienen und die Gräben noch mehr vertiefen? Nach dem Motto: Divide et impera?
Oder hängt dies mit dem gegenwärtigen Kulturstaatsminister Bernd Neumann und hinter ihm stehenden "konservativen" Historikern zusammen, die die Aufarbeitung der DDR-Geschichte nur auf Repression, Anpassung und Widerstand begrenzen wollen
(siehe Sabrow-Kommission). Warum ärgere ich mich eigentlich, wenn die DDR schlecht gemacht wird, obwohl ich selbst nicht gerade die besten Erfahrungen mit der Staatsmacht hatte?
Warum wird immer wieder die tote DDR rituell geschlachtet?
Warum macht es vielen Leuten so viel Spaß, die tote DDR immer wieder rituell zu delegitimieren? Am meisten Genugtuung und Befriedigung verschafft es den selbsternannten DDR-Experten. Das sind oft Leute, die selbst oder deren Eltern in den Fünfzigern oder Sechzigern aus der DDR geflohen waren und jahrzehntelang ihre Phrasen wiederholt haben. Nicht selten flohen sie, weil sie Dreck am Stecken hatten und waren auch bei der Darstellung der Umstände oft erfinderisch. Dafür trugen sie ihr schweres Schicksal jahrzehntelang zur Schau. Dass die DDR der siebziger und achtziger Jahre eine ganz andere DDR war als in den Fünfzigern, haben sie nicht mitbekommen. Nun haben sie einen Ruf zu verlieren und wiederholen ihre Phrasen deshalb noch häufiger. Aber auch Leute, die weder Verwandte noch irgendeine andere Beziehung zur DDR hatten, erklären die "Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur" zu ihrem Hobby. Sie sagen, dass bei der Aufarbeitung der zweiten Diktatur nicht die Fehler der Aufarbeitung der ersten Diktatur gemacht werden dürfen. Wenn man dann aber von Skandalen bei der Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus noch aus den 90er Jahren erzählt, wie z.B. von den noch am 20. April 1945 ermordeten zwanzig "Kindern vom Bullenhuser Damm" (http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nie-vergessen) und von der Einstellung des Verfahrens gegen den verantwortlichen Befehlsgeber, dann sind sie von solchen Bagatellen nur gelangweilt. Ja ja, es wurden Fehler gemacht, aber nun soll alles anders werden.
Phrasen der selbsternannten DDR-Experten:
Die selbsternannten DDR-Experten wiederholen vor allem Phrasen aus den fünfziger Jahren. Sie sagen z.B., dass man in der DDR nicht studieren konnte, wenn die Eltern nicht auf Parteilinie waren, z.B. kirchlich. Das wird ganz pauschal gesagt, als wenn sie damit die DDR bis zum Ende und absolut alle meinen. Dabei wird auch einfach übersehen, dass die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel als Tochter eines Pfarrers studieren konnte. Ich bin derselbe Jahrgang und kenne niemandem, den es getroffen hat. Ich würde aber auch nicht bestreiten, dass es solche Fälle gegeben hat. Es geht ja gerade um die Verhältnismäßigkeit. Schon alleine die Tatsache, dass man sich wundert und ich mich rechtfertigen muss, dass ich studieren konnte, ist so daneben, dass man bei solchen Diskussionen gute Nerven haben muss, um nicht aus der Haut zu fahren, denn was man auch sagt, es wird immer als Ausrede und Rechtfertigung aufgefasst.
Warum betrifft mich das?
Ich werde häufig mit solchen Phrasen aus den fünfziger Jahren konfrontiert, und das von Leuten, die nur wenig über deutsche Geschichte wissen und anscheinend nur vier Wörter kennen: Diktatur böse, Demokratie gut. Das hindert sie aber nicht daran, sich praktisch jedem Osteuropäer haushoch überlegen zu fühlen. Ich habe in 20 Jahren Hamburg noch nie erlebt, dass sich irgendjemand für das Leben in der DDR wirklich interessiert hätte. Im Gegenteil, man hat mir immer erzählt, wie die DDR war. Ich musste nur manchmal überlegen, von welchem Land sie sprachen. Und ich muss sagen, dass ich davon voll genervt bin. Deshalb betrifft mich das.
Ostdeutsche sind keine eigene Ethnie
Es liegt ja die Frage nahe, warum man z.B. zu Jemanden mit ostdeutscher Herkunft sagen kann: "Na Junge, habt ihr überhaupt in Dunkeldeutschland Lesen und Schreiben gelernt?", und andererseits darf man jemanden mit ausländischer Herkunft nicht fragen, wo er herkommt, - da beginnt schon Rassismus. Die Antwort ist, dass Ostdeutsche keine eigene Ethnie sind, - es gilt für sie nicht das Gleichbehandlungsgesetz, nicht das Recht einer anerkannten Minderheit, so z.B. ein Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgard 2010. Klagen kann man nur individuell, nicht als Ethnie-Zugehöriger.
Aussicht, Das GMF-Syndrom (GMF Survey):
Mein Fazit nach über 20 Jahren Auseinandersetzung ist: Beide Seiten missverstehen und verachten sich gründlich. Falls es überhaupt zu Gesprächen kommt, weiß man eigentlich nicht, wovon der anderer überhaupt redet, so verschieden sind die Lebenserfahrungen. Als Ossi ist man natürlich immer in der Defensive. Bei den Jüngeren sieht es natürlich schon anders aus.
Und für das Verhalten gegenüber den Ostdeutschen habe ich eine Erklärung gefunden: das GMF-Syndrom, wenn man mal von politischen Interessen absieht. Das GMF-Syndrom (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit), ist keine Krankheit, wie das Wort Syndrom assoziieren könnte, sondern eine Art soziales Fehlverhalten. Beim GMF-Syndrom wird Ungleichheit in Ungleichwertigkeit (meist natürlich Minderwertigkeit) transformiert, mit dem Ziel, seine eigene Gruppe oder sich selbst zu erhöhen, wobei dieses Syndrom manchmal auf beiden Seiten auftritt.
Forschung zum GMF-Syndrom an den Universitäten Bielefeld und Marburg,
https://pub.uni-bielefeld.de/project/P439
https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit
Die zehn Elemente des GMF-Syndroms sind:
1. Fremdenfeindlichkeit
2. Rassismus
3. Antisemitismus
4. Islamfeindlichkeit
5. Etabliertenvorrechte
6. Sexismus
7. Homophobie
8. Abwertung von Menschen mit Behinderung
9. Abwertung von Obdachlosen

10. Abwertung von
Langzeitarbeitslosen
11. Antiziganismus
Die Ostfeindlichkeit ist zwar nicht direkt aufgeführt, aber man könnte sie 1. und 5. zuordnen.

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Referenzen:
Thomas Hoffmann: Bloß kein Erinnerungskombinat, FREITAG 12/2007

(http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/bloss-kein-erinnerungskombinat)
Friedrich Schorlemmer: Erinnern und Vergessen, FREITAG 41/2007
(http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/erinnern-und-vergessen)
/1/ UTOPIE kreativ, Heft 204 (Oktober 2007, Seite 932)
      oder auch: Das Blättchen, Nr.22 (Oktober 2007, Seite 28)
Das GMF-Sysdrom (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
(z.B. in https://www.demokratie-bw.de/gmf und https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit )
Dirk Oschmann "Der Osten: eine westdeutsche Erfindung"